Agiles Management bedingt formale Hierarchien
Anreiz und Gefahr informeller Hierarchien
Das ökonomische Grundprinzip, d.h. die vollständige Ausnutzung vorhandener Ressourcen zur Gewinnmaximierung, wird vermehrt auch im NPO-Bereich zur Maxime. Zur Steuerung der Organisationen dienen Management-Modelle. Sie sollen als Grundlage zur Gestaltung effektiver bzw. effizienter Planungs-, Ablauf- und Entscheidungsprozesse dienen. Weil sie praktikabel und operational scheinen, logisch klingen und auch Allgemeingültigkeit suggerieren, sind Management-Theorien attraktiv. Jedoch sind die meisten der Prämissen, Postulate und Vorschläge der Management-Theorien allgemein gehalten und somit für spezifische Branchen unpräzise.
Als ein sich ständig verändernder Prozess sollte Management nicht als starres System verstanden werden. Gesucht sind Strukturen, die einladend und transparent für einsatzbereite Mitarbeitende gestaltet sind und die erforderliche Vielfalt und Flexibilität ermöglichen. Das Agilitäts-Prinzip soll dabei helfen. Agile Organisationen sollen in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt schnell und wandlungsfähig sein.
Beobachtet man Unternehmen bei ihren Bemühungen um eine agile Organisation, lässt sich der Eindruck gewinnen, dass die klassische Hierarchie ausgedient hat. Weil sie angeblich Innovation verlangsamt, die Mikropolitik fördert, Denkweisen zementiert und Führungspositionen nach den falschen Kriterien besetzt oder Mitarbeitende demotiviert.
Dem gegenüber steht, dass formale Hierarchien am besten Rollenklarheit (Befugnis, Verantwortung) schaffen, da ohne Hierarchie die Ordnung und der Zusammenhalt verloren gehen, Machtkämpfe und Kompetenzstreitigkeiten zunehmen, die persönliche Belastung der Mitarbeitenden steigt und die Entscheidungsprozesse ineffizient werden.
Eine Studie zum Thema «Agilität ist (nicht) alles» der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, Überlingen (D), ortet das Scheitern zur Wandlung zum agilen Unternehmen im Silodenken, gefolgt von unzureichend agil denkendenden Führungskräften und Mitarbeitenden, in Prozessen, die sich nicht einfach auf agiles Arbeiten umstellen lassen, sowie bei Kunden, Zulieferern und Partnern, die noch nicht auf agiles Arbeiten eingestellt sind.
Formale Hierarchien abzuschaffen birgt Risiken. Selbst wenn es gelingt, machen andere Faktoren den Unterschied, wie die intensive Beziehungspflege, mit der Gefahr zur Korruption, dem charismatischen Wirken, mit der Gefahr der negativen Manipulation, dem Expertenwissen, mit der Gefahr der Technokratisierung, sowie der Kontrolle der Kommunikationswege, mit der Gefahr zur Machtkonzentration. Anstelle der formalen Hierarchie tritt unausweichlich die informelle, die die Organisationen seit Jahrzehnten durch erprobte (wissenschaftlich entwickelte) Management-Modelle zu kanalisieren, steuern und kontrollieren versuchten.
Informelle versus formale Hierarchie
Im Gegensatz zu herkömmlichen Management-Modellen ziehen «agile» Konzepte die (Neu-) Gestaltung der informellen Hierarchie vor, mit der Intention, die Eigenmotivation der Mitarbeitenden besser zu nutzen, mehr Dinge in Bewegung zu bringen und diejenigen in Führung zu bringen, denen andere folgen - eine machtfreie Organisation, in der Mitarbeitende vollkommen selbstbestimmt arbeiten und allen anderen gleichgestellt sind.
Mit dem Umschreiben von Organigrammen und Streichen von Jobtiteln wird nicht automatisch die Hierarchie eliminiert. Es besteht aber die Gefahr, dass auf diese Weise die (ungesteuerte) Verteilung von Machtquellen gefördert wird und formale Befugnisse und Sanktionsmöglichkeiten verschwinden.
Durch die Bildung informeller Kerngruppen durch Experten und Charismatiker setzt sich die Organisation der Gefahr einer Machtkonzentration aus, die so wenig demokratisch wie hierarchielos ist und sich einem Korrektiv entzieht.
Die starren Hierarchiemuster aufzubrechen ohne ein minimales Mass an Hierarchie funktioniert auch in einer Welt des Dauerwandels nicht. Wenn es darum geht, schnelle Entscheidungen herbei zu führen, Rollenklarheit zu schaffen oder Konflikte zu befrieden, können formale Hierarchien durchaus nützlich sein.
Formale Strukturen gegen emergente Netzwerke
Was früher in formalen Hierarchien über den inoffiziellen Dienstweg abgelaufen ist, soll nun durch Agilitäts-Modelle formalisiert werden. Die informelle Hierarchie soll sich entlang von fachlichen Interessen sowie der intrinsischen Motivation bilden. Damit sollen Egoismen und für die Organisation bewusst schädliches Verhalten minimiert werden. Die Anführer kollaborativer Interessengemeinschaften und Meinungsführer von formellen und informellen Netzwerken mit einer teilweise grossen Anzahl von «Anhängern» sollen potentiell mehr Einfluss auf die Einstellung, die Denkweisen sowie das Verhalten der Mitarbeitenden ausüben.
Versuche, Engagement, intrinsische Motivation und Sachkenntnis in Hierarchie zu übersetzen, finden sich auch in den Modell-Ansätzen des Agilen Managements. Beispielsweise im Scrum kommt die Rolle des (inhaltlichen) Projektleiters dem Ideengeber zu oder, wie im Holacracy-Modell, demjenigen, dem die Mitarbeitenden die beste Qualität zuschreiben. Beide Modelle haben den Ruf, zwar innovativ, aber nur für Organisationen praxistauglich zu sein, welche die Kultur, Systeme und Strukturen von Beginn an darauf ausgerichtet haben.
Agile Modelle setzen informelle Einflüsse nicht ausser Kraft. Informelle Strukturen sind verborgen, nicht (immer) allen klar und intransparent. Sie sind anfällig für Intrigen und Korruption und können von Charismatikern bzw. versierten Kommunikatoren dominiert und missbraucht werden. Schuld ist weniger das System sondern der Mensch.
Es ist davon auszugehen, dass auch ein agiles Modell eine formale Struktur in Hintergrund benötigt, die den agilen Raum freihält und schützt, aber nicht in die Entscheidungsfindung eingreift. Sie kann im Konfliktfall hinzugezogen werden und die in den informellen Prozessen getroffenen Entscheidungen durchsetzen. Organisationen haben immer eine formale und eine informelle Seite. Um das richtige Mass an Hierarchie zu finden, müssen beide betrachtet und gestaltet werden.
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